Corona stellt Freundschaften auf den Prüfstand

Es wäre vermessen, Corona die Schuld zuzuschieben, dass Freundschaften zerbrechen. Die Pandemie und all ihre Begleiterscheinungen und die damit einhergehenden Polarisierungen wirken lediglich als Brandbeschleuniger. Die aktuelle Situation zeigt in vielen Lebensbereichen schonungslos Umstände auf, die nicht mehr zu unserem Lebensentwurf passen, die einer Änderung bedürfen.
Durch die aktuellen Zeiten stehen auch unsere Freundschaften auf dem Prüfstand. Angetrieben durch die mediale Berichterstattung und politische Kommunikation ist die Corona-Pandemie täglich in aller Munde. Um die Gesundheit selbst geht es in diesen Gesprächen oft nicht mehr. Es haben sich Lager gebildet, es haben sich Gräben aufgetan. Gräben, die sich oft quer durch Familien, Partnerschaften und eben auch Freundschaften ziehen.

Während es in Familien und Partnerschaften durch das enge soziale Netzwerk sozusagen „kein Entrinnen“ bei den Diskussionen gibt, ist dies bei Freundschaften etwas anders gelagert. Ich versuche es etwas provokant auszudrücken:

Corona gibt uns die Möglichkeit, Freundschaften zu überprüfen und ggf. sogar zu überdenken.

Ich möchte diesen Gedanken kurz weiterspinnen:
Es halt wohl in den letzten Jahrzehnten niemals ein derartiges Thema gegeben, das eine Gesellschaft derart entzweit hat. Die Grauschattierungen sind Geschichte – es existiert auf beiden Seiten der Lager nur mehr Schwarz oder Weiß. Es gibt in der öffentlichen Wahrnehmung nur mehr ein Entweder oder ein Oder. Ein paar „Kostproben“ gefällig?

  • Impfgegner vs. Impfbefürworter
  • Coronaleuger vs. Staatsgläubige
  • Youtube-Experten vs. Anhänger von Mainstream-Medien
  • Unsolidarische Menschen vs. solidarische Menschen

Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Beobachten Sie doch mal eine Kontroverse um die Coronapandemie in Ihrem Bekanntenkreis. Es dauert meist keine zehn Minuten, bis diese Lager in der Diskussion sichtbar sind – vorausgesetzt, dass es unterschiedliche Meinungen in dem Teilnehmerkreis gibt.

Nun gehen wir einen Schritt weiter und Sie diskutieren mit einem Freund oder einer Freundin über die Pandemie, ihre Auswirkungen und die damit verbundenen Maßnahmen der Regierungen. Und stellen Sie sich vor (wenn Sie es in den letzten eineinhalb Jahren ohnehin nicht selbst am eigenen Leib schon mehrmals erlebt haben), dass Sie eine andere Meinung (ganz gleich welche) wie Ihr Freund oder Ihre Freundin vertreten.
  • Wie gehen Sie miteinander um? Wird die Meinung des anderen gehört?
  • Wie emotional werden Sie oder Ihr Freund bzw. Ihre Freundin?
  • Kommen Untergriffigkeiten plötzlich an die Oberfläche?
  • Schaukelt sich das Gespräch immer mehr zu einem Streit auf?

Ganz gleich, welche Antworten Sie auf diese Fragen sich geben: Dem Coronavirus sind Ihre Freundschaften herzlich egal. Ihnen ist diese Freundschaft aber hoffentlich wichtig.

Dazu passt folgendes Zitat des französischen Schriftstellers Sully Prudhomme sehr gut:

„Zwei Freunde müssen sich im Herzen ähneln, in allem anderen können sie grundverschieden sein.“

Damit Sie sich nicht falsch verstehen: Sie müssen mit dem Menschen, mit dem Sie freundschaftlich verbunden sind, nicht einer Meinung sein. Ganz im Gegenteil – die andere Position könnte uns auch zum Nach- oder Umdenken bringen. Es muss in einem kontroversen Gespräch über ein Thema (auch bei Corona) auch keine gemeinsame Position herauskommen. Das ist nicht erforderlich – eine wahre Freundschaft hält unterschiedliche Positionen locker aus, bereichert diese sogar.

Aber was tun, wenn eine sachliche Diskussion unter Freunden nicht mehr möglich ist?

Die Coronapandemie und vor allem die Diskussionen rund um dieses Thema Nr. 1 haben aber sicher auch schon Ihnen in Ihrem Freundeskreis aufgezeigt, dass es so nicht weitergeht. Dass es kein Miteinander, sondern nur mehr ein Gegeneinander gibt. Nur die Meinung des Anderen zählt, Ihre eigene Meinung wird belächelt oder mit Totschlagsargumenten niedergeknüppelt.
Dieser Prozess findet natürlich schleichend statt. Ich möchte Sie zur Selbstbeobachtung einladen: Sollten Sie nach häufig auftretenden Kontroversen mit immer denselben Menschen eine Wut, Ärger oder Energielosigkeit verspüren, dann ist dies ein sicheres Zeichen, dass sich die Freundschaft in eine Richtung entwickelt, die beiden Beteiligten nicht mehr guttut.

Sie haben zwei Möglichkeiten zur Auswahl:
  • Sie machen einfach weiter wie bisher, klammern das kontroverse Thema aus bzw. versuchen es zu umschiffen
  • Sie führen mit dem Freund bzw. mit der Freundin ein finales, ernstes Gespräch – wo Sie Ihrem Unmut auf konstruktive Weise Luft machen. Und Sie zeigen ihrem Gegenüber die Konsequenz auf, wenn jedes Gespräch über ein Thema X in ein emotionales Gemetzel ausartet. Die da wäre: Rückzug Ihrerseits aus der Freundschaft!

Letzteres klingt wahrscheinlich für viele sehr hart. Schlechtes Gewissen, soziale Gesellschaftsnormen und natürlich die über Jahre emotional entstandene Beziehung lassen uns oft von diesem Schritt zurückschrecken und wie bisher weiter zu machen. Doch es gilt abzuwägen: Bleiben wir weiter in einer destruktiven Beziehung oder nehmen wir uns selbst ernst.
Auch ich selbst bin in der Vergangenheit in in meinem Freundeskreis vor einer Entscheidung wie dieser gestanden. Auch wenn ich mich letztendlich von einigen destruktiven Freundschaften verabschiedet habe – die Entscheidung habe ich mir in keinem dieser Fälle leicht gemacht. Und es hat auch lange Zeit gedauert, dass ich diese auch treffen konnte.
Eines sei aber festgehalten: Sobald man sich von diesen „Energievampiren“ gelöst hat, geht es einem besser. Man erhält viel qualitativ hochwertige Zeit zurück. Zudem stellt sich ein weiterer positiver Effekt ein: Sie sind wieder frei für neue Freundschaften, die Ihnen auch guttun und die auch andere Meinungen zulassen.

Schauen Sie also genau hin – eine echte Freundschaft (egal ob bestehend oder künftig) ist das wert!

P.S.: Durchforsten Sie bei dieser Gelegenheit auch ihre „Freunde“ in den sozialen Medien. Auch hier ist es manchmal sehr befreiend, sich von dem einen oder anderen „Freund“ zu lösen.

Auf ein baldiges Wiederlesen!

Ihr Andreas Reisenbauer

Bild von Iván Tamás auf Pixabay