Wenn die Hofübergabe zum Streitfall wird: Familienkonflikte in der Landwirtschaft
Aus meiner rund 20-jährigen Tätigkeit als Berater im land- und forstwirtschaftlichen Bereich kann ich eines ruhigen Gewissens festhalten: Die Übergabe von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben innerhalb der Familie läuft nur in den seltensten Fällen ohne zwischenmenschliche Probleme ab. Das fatale dabei: Die meisten zeigen sich oft erst Jahre nach der eigentlichen Übergabe.
Systembedingte Generationenkonflikte, unterschiedliche Betrachtungsweisen, vorbelastete Familienstrukturen und tiefgehende emotionale Kränkungen prägen die Zeit vor, während und nach dem eigentlichen Übergabeprozess.
Die zu erwartenden Hürden im sozial-persönlichen Bereich stellen ein weit höheres Risiko für das Scheitern eines Übergabeprozesses dar als die Herausforderungen im betriebswirtschaftlichen Bereich. Sind die involvierten Familienmitglieder nur halbherzig bei der Betriebsübergabe mit dabei, ist der Prozess langfristig zum Scheitern verurteilt – folgende Rahmenbedingungen sind dafür vonnöten:
- Klare Regelungen für das spätere Zusammenleben am Betrieb
- Umgang mit der Furcht vor dem Abseitsstehen
- Frühzeitige Einbindung der Betriebsübernehmer
- Spannungsfelder rechtzeitig erkennen
- Echte Motivation für die Übergabe
- Stärkung der Konfliktfähigkeit
- Gründliche Vorbereitung
- Anpassungsfähigkeit und Innovationsbereitschaft
- Offene Kommunikation
- Entwickeln von Nachfolgeplänen
- Regelmäßiger Blick in die Zukunft
Schließlich muss den Übergebern und Übernehmern auch folgendes klar sein:
- Alle Beteiligten müssen die Bereitschaft zeigen, Widerstände aufzugeben
- Die Einsicht, dass die zwischenmenschlichen Probleme den Fortbestand des Bauernhofes gefährden können
- Die Fokussierung aller Beteiligten auf die Zukunft
- Akzeptieren der unterschiedlichen, generationsbedingten Werte
Diese vier Punkte sind gleichzeitig Schwachstelle und Chance für eine erfolgreiche Betriebsübergabe.
Grundsätzlich gliedert sich jede Betriebsübergabe in drei Phasen:
1. Vorbereitung der Nachfolgeregelung
2. Übergabeprozess
3. Gemeinsames Leben und Arbeiten am Betrieb
Leider wird der Fokus der Beratungsangebote der diversen Interessensvertretungen in der Regel nur auf die ersten beiden Phasen gelegt – nicht jedoch auf die dritte Phase. Denn die Praxis zeigt: Die meisten zwischenmenschlichen Konflikte treten erst durch das gemeinsame Leben und Arbeiten am Bauernhof auf. Viele Konflikte aus der Vergangenheit werden auch Jahre nach der erfolgten Übergabe erneut aktualisiert. Zudem können aktuelle Entwicklungen im Familiensystem (Geburt der Enkelkinder, andere Arbeitsaufteilungen etc.) neue Konflikte kreieren.
Der Großteil der Übergabeprozesse findet unter Beiziehung von Fachexperten aus dem wirtschaftlichen, steuerlichen und finanztechnischen Kontext statt. Experten aus den Bereichen Mediation, Coaching, Familientherapie sowie Lebens- und Sozialberatung werden nur in Ausnahmefällen zu Rat gezogen – oder wenn es bereits 5 nach 12 ist.
Entschließt sich allerdings die Familie für diesen Schritt, so erhalten alle Beteiligten die Chance, dass langjährige interne familiäre Konflikte sichtbar gemacht, bearbeitet und einer guten Lösung zugeführt werden. Letzteres verändert – mehr noch wie die eigentliche Übergabe des Bauernhofes selbst – das Leben der Familienmitglieder zum Positiven. Dadurch ist ein doppelter Nutzen erkennbar, der vielleicht sogar noch Jahrzehnte positiv nachhallen wird.
(Bild von Leopictures auf Pixabay)